Indien mittendurch

 

Beide Grenzen sind unkompliziert und schnell erledigt. Außer, dass dieser Grenzübergang bisher die schmalste Straße aufweist. 2spurig und keine Parkmöglichkeit. Also fährt Wolfi in der Kolonne mit, während sich Verena um die Grenzabfertigung kümmert. Wäre sie nicht ausgestiegen, hätte wahrscheinlich niemand gemerkt, dass nun Ausländer die Grenze passieren.

Die zweite Nacht in Indien verbringen wir direkt am Ganges. Ein schönes Platzerl. Wir beobachten die Fischer, die mit ihren Booten auf dem vollkommen ruhigem Wasser ihre Netze auswerfen. Wolfi erwacht am nächsten Morgen rechtzeitig zum Sonnenaufgang.

Wir befinden uns auf den Weg nach Varanasi. Sehr oft müssen wir stoppen und nach dem Weg fragen. Varanasi, die älteste Stadt Indiens und zugleich bekannteste - da werden sie uns wohl den Weg zeigen können. "Varanasi, which way?" Alle schauen uns fragend an, keiner versteht uns. Aber das gibt es doch nicht. Wir sind vielleicht noch 200 km entfernt, die werden doch wissen, in welcher Richtung es nach Varanasi geht. Jedesmal wenn wir fragen: "Varanasi?" bekommen wir unverständliches Kopfnicken, bis uns endlich einer versteht und fragt:"Varansi?" Ach herje, das hätten wir uns doch denken können, dass wir die Stadt falsch ausgesprochen haben. Also in Zukunft müssen wir die Städtenamen in 10 verschiedenen Ausführungen ausprechen, eine davon wird schon passen. Endlich können wir uns aufmachen nach VARANSI.

In Varanasi ist Verena das erste Mal aktive Verkehrsteilnehmerin. Nein, nicht mit dem Amigo, sondern mit dem Fahrrad. Und das ist fast noch schlimmer. Denn mit dem Fahrrad sind wir eines der letzten Glieder in der verkehrsteilnehmenden Gesellschaft. Hupende Busse, hupende Autos und hupende Mopeds, viele Fahrradfahrer und dazwischen wir. Man muß auf alles achten. Offene Kanaldeckel, Schlaglöcher in der Straße, geht die Kuh nun nach links oder rechts, die Rikscha da vorne, schert sie vielleicht aus, die Fußgänger die ohne zu Schauen losmarschieren. Chaos pur. Auch Geruchstechnisch nimmt man Indien nun wirklich wahr. Die Gerüche, die einen ständig in die Nase kommen, sind nur sehr schwer zu ertragen. Nicht die Abgase von den Fahrzeugen, eigentlich machen einem die uringetränkten Mauern und Gehsteige mehr zu schaffen. Bei 30°C verdunstet manches.

Wir gehen zum McDonalds Abendessen. Man könnte fast glauben, man sei irgendwo in Europa. Nur die verschiedenen Veggie Burger, Aloo Ghobi Burger und Maharani Burger erinnern doch an Indien. Und die saritragenden Frauen. Hinten im Eck ist ein Kindergeburtstag. Der Ronald McDonald fehlt, aber stattdessen unterhält ein Angestellter die Kinder mit Spielen und Musik. Lärm, Gekreische und Herumlauferei - niemanden stört es. Die stolzen Väter laufen mit den Videokameras hinterher, um das Geburtstagsspektakel festzuhalten.

Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr. Kurzes Frühstück, dann schwingen wir uns sofort auf die Räder, um zu den berühmten Bade-Ghats in Varanasi zu radeln. Man möchte meinen, dass um diese Uhrzeit noch nicht viele unterwegs sind, aber nicht so in Varanasi. Die ganze Stadt erwacht sehr früh, um den Tag mit einem Gangesbad zu beginnen. Bei Sonnenaufgang versammeln sich tausende von Menschen auf den Ghats. Es herrscht bereits reges Treiben.

Nein, welch ein Pech auch, da kommt uns eine klatschnasse Touristin entgegen, die Arme! Sicher ist sie beim Fotografieren aus dem Boot in den Ganges gefallen. Als sie näher kommt sehen wir, dass sie über das ganze Gesicht selig lächelt. Wir können es kaum glauben. Hat sie vielleicht doch ein freiwilliges Bad in "Mutter Ganga" genommen?

Die Ghats sind voll mit Indern, die ein Bad in "Mutter Ganges" machen. Auf den Steintreppen entkleiden sich die Männer bis auf die Unterhose, steigen dann in das schmutzige Wasser, um ihren Körper äußerlich wie innerlich zu reinigen. Äußerlich indem sie ihre Köpfe mehrmals unter das Wasser tauchen und innerlich, indem sie einen großen Schluck vom sicherlich schmackhaften Wasser nehmen. Die Frauen gehen meist mit Sari in den Fluß. Andere sind Pilger, die wahrscheinlich von weit her kommen, um ein einziges Mal in Mutter Ganges ein Bad nehmen zu können, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. In der Altstadt werden überall Plastikkanister angeboten, die von den Pilgern gekauft werden. Mit dem heiligen Wasser befüllt werden sie zu ihren Lieben nach Hause mitgenommen. Auf den Ghats sitzen die heiligen Männer, bei denen man sich nach dem Bad segnen lassen kann.

Seitlich an den Steinmauern bieten Männer ihrer Dienste an, von einer Rasur über Haareschneiden und Massieren gibt es alles.

Daneben sitzen die Gurus, die sich Opfergaben von den Pilgern erhoffen.

Gewiffte Jungs stehen mit einer Schnur, an der sie einen Magneten festgebunden haben, am Ghat und fischen nach Münzen, die die Pilger zuvor in den Ganges geworfen haben. Dazwischen trifft man immer wieder auf Kühe, die auf der Suche nach Freßbarem sind. Ach ja die heilige Kuh! Manche Menschen glauben, dass es ihnen Glück bringt, wenn der schmutzverkrustete Kuhschwanz ihren Kopf berührt.

Überall lungern Straßenhunde herum und freche Affen hüpfen von Haus zu Haus, um nach Essensresten zu suchen.
Es gibt die verschiedensten Ghats, gegliedert nach Religionszugehörigkeit, Bundesländer und Beruf. Am Dhobi Ghat wird auch heute noch Wäsche gewaschen. Obwohl sich schon viele eine Waschmaschine leisten können, werden die Dienste der dhobi-wallahs noch immer in Anspruch genommen. Die Männer und Frauen klopfen die Wäsche auf Steinplatten, spülen sie im Ganges und legen sie dann auf den Steintreppen zwischen Kuhfladen und Müll zum Trocknen.


Nicht weit davon entfernt sind die Verbrennungsghats. Ein jeder Inder erhofft sich nach seinem Tod in Varanasi verbrannt zu werden und die Asche in den Ganges verstreut zu bekommen, denn dadurch wird der ewige Kreislauf der Wiedergeburten unterbrochen - das ist das große Ziel der Hindus. Sehr viele Menschen arbeiten auf den Verbrennungsghats. Mit großen Booten werden ganze Baumstämme angeliefert und direkt vor Ort zerkleinert und aufgestapelt. Für eine Verbrennung braucht man viel Holz. Sind die Trauernden gut betucht, können sie sich Sandelholz und zwar in ausreichender Menge kaufen. Ist man arm, hat man weniger Holz für den Toten und es kann leicht sein, dass der Körper nicht komplett verbrennt. Dann gibt es die Versleser, die man auch bezahlen muß. Wenn er schnell liest, kostet es mehr, aber dafür sollte die Loslösung der Seele ziemlich rasch und schmerzlos vonstatten gehen. Dann gibt es die Leichenverbrenner, sie nennt man Doms. Einer der reichsten Bürger der Stadt ist solch ein Dom, ein Kastenloser, mit einer prächtigen Villa direkt am Ganges.

Knochenreste und Asche werden in den Ganges geleert, aber davor wird der Rest noch gründlich untersucht auf Goldzähne oder Goldringe, denn das dürfen sich die Doms behalten.
Es sind viele Touristen hier, die diesem Spektakel beiwohnen. Bootsfahrer bieten ununterbrochen ihre Dienste an. Die Ghats werden mit Hochdruckpumpen gereinigt. Das mit dem Monsun einhergehende Hochwasser hat Schlamm und Müll auf den Treppen hinterlassen. Der Wasserpegel muß auch heuer wieder ganz schön hoch gewesen sein.

Gleich dahinter ist die Altstadt. Sie besteht aus einem engen Gassengewirr, das man sich mit tausenden anderen Menschen teilt. Mit Kühen, die ihre morgendliche Runde von einem Müllhaufen zum anderen unternehmen. Hupende Motorradfahrer zwängen sich dazwischen durch. Wir gehen frühstücken und betrachten dieses für indische Verhältnisse geordnete Chaos vom Sessel aus und schlürfen einen Espresso.

 

Irgendwie ist Varanasi mit all den Exkrementen, Müll, Obdachlosen, Bettelei, Gestank und Gewimmel abstossend, aber auch gleichermaßen faszinierend. Irgendetwas Spezielles liegt in der Luft. Diese tiefe Religiösität und Spiritualität der Inder ist schon was Besonderes. So richtig "aufnehmen" kann man Varanasi wahrscheinlich nur, wenn man barfuß durch die Gassen läuft.

Genug von dieser Stadt. Die Sehnsucht nach dem Meer wird immer größer und so beschliessen wir, auf dem direkten Weg nach Goa zu fahren. Auf der Landkarte sieht der National Highway Nr. 7 in der Mitte durch, als der kürzeste Weg aus. Ok, den nehmen wir. Die Straße aus Varanasi raus ist verstopft, doch wir bahnen uns einen Weg.


Der Highway. Nr. 7 entpuppt sich als reinste Katastrophe. Ein Emmentaler ist nichts gegen diese Straße, mit 15 km/h lenkt Wolfi den Amigo durch diese Schlaglöcher. Wir fürchten, dass wir vielleicht doch die falsche Straße erwischt haben, denn wenn diese Straßenzustände so bleiben, brauchen wir ewig zum Strand. Außerdem haben wir nach 2 Tagen schon Mitleid mit dem Amigo, der jedoch alles unbeschadet übersteht.


Plötzlich ist kein Weiterkommen mehr. Stau, viele Menschen, Gekreische und Kracher. Eine Hochzeit. Das Auto buntgeschmückt mit Blumengirlanden. Nun wollen sie auch noch einen großen Blumentopf aus Ton auf dem Autodach festmachen. Ob das denn gutgeht?


Am 3. Tag wird die Straße besser. Mit wenige Privat-P
kws, viele Mopeds, Fußgänger und Bauern auf ihren Traktoren teilen wir uns die Straße. Zwischen den Dörfern sind gar nur andere Lkws unterwegs. Nun ist auch an schnelleres Weiterkommen zu Denken. Die Bauern haben große Freude, ihre neuen Traktoren mit Plastikblumen und bunten Quasteln zu schmücken.


Neben einem Baumwollfeld schlagen wir unser Nachtlager auf. Die Zuckerrohrernte ist voll im Gange. Aus allen Richtungen kommen sie her. Zum Teil haben die Traktoren 2 Anhänger gleichzeitig zum Nachziehen. So hoch und breit wie möglich aufgeschlichtet, ist die Straße manchmal fast zu eng. Die Bauern sind auf dem Weg zum nächsten Zuckerrohrverarbeitendenden Betrieb. Wer sich keinen Traktor leisten kann, packt sein Zuckerrohr auf Fuhrwerke, die von Kühen gezogen werden. Getreide wird auf der Seite der Straße getrocknet und in große Säcke verpackt, bereit zum Abholen.

Diese Fahrtage auf Indiens Straßen sind sehr ermüdend. Wir freuen uns schon riesig auf den Strand und das Meer. Je weiter wir in den Süden kommen, desto wärmer wird es. Endlich am 7. Fahrtag können wir nach Westen abbiegen. Aber wo ist die Straße, die nach Goa führt? Wie auch schon letztes Jahr und auch die letzten Jahre davor sind wir wieder auf der Suche nach der NH 4A, so heißt die Straße, die nach Goa führt. In Belgaum verfransen wir uns wieder. Auch wiederholtes Fragen nach dem Weg, hilft uns nicht weiter. Aus den Handbewegungen der Einheimischen, werden wir nicht schlau. Ist das nun rechts oder Gerade aus? Englisch spricht kaum einer, die wenigen Schilder mit Orten sind verschnörkelte Schriftzeichen, die wir nicht lesen können und so bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterzusuchen. Wir fahren den Highway weiter bis zur Mautstation und fragen dort weiter, die werden doch Englisch können, so unser Plan. Tatsächlich weisen sie uns den Weg. Nur müssen wir nun auf die andere Seite des Highways und für einige Meter Geisterfahrer spielen, um dann auf die Zufahrtsstraße einbiegen zu können.

Nach langen 2.440 km quer durch Indien erreichen wir den kleinen Bundesstaat Goa. Wir müssen noch 500 Höhenmeter durch den Dschungel runter, um an das Meer zu gelangen. Goa ist eigentlich nicht richtig Indien. Das Leben, die Häuser, die Leute alles ist anders. Hier wird der Spruch, den die Inder gerne verwenden "same, same, but different!" wirklich wahr. Die 500 Jahre portugisische Kolonialzeit hat dieses Fleckchen Erde sehr geprägt. Beim Durchfahren der Stadt Margao hält uns ein Polizist auf und will Geld, weil wir die Straßenseite zwischen den Bordsteinen durch gewechselt haben, obwohl ein Umkehrverbot besteht. Aber seit wann müssen wir auf Verkehrszeichen achten? In ganz Indien bleibt niemand an einer roten Ampel stehen oder bei einer Stoptafel. Hier in Goa scheint es, dass man Verkehrszeichen wirklich wieder ernst nehmen sollten. 300 Rupee will der Polizist für das Vergehen haben. Nach ein bißchen Smaltalk und Verhandeln, zahlen wir 100 Rupee (ca. 1,30 €). Das werden wir verkraften!

 

In Agonda angekommen, bangen wir um unseren Platz am Meer. Hoffentlich haben sie ihn noch nicht verkauft, spekuliert wird darüber ja schon seit Jahren. Die Palmenblätter hängen tief, auch die Strom- und Telefonkabeln der Häuser im Dorf. Nichts kann uns mehr aufhalten. Und dann sind wir hier - an unserem heurigen Feriendomizil.

Was wir hier so erleben, gibt es im nächsten Bericht!

 

 

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